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Öffentliches Baurecht | 1C_40/2016

Überprüfung der geltenden Nutzungsordnung unter Berücksichtigung von Art. 75b Abs. 1 BV sowie ZWG und ZWV

Redaktion von Bau- und Zonenreglementen für Gemeinden und Beratung von Kantonen bei Änderungen der Planungs- und Baugesetze – Anwälte Hofstetter.

Die Gemeinde Bregaglia hat die geltende Nutzungsordnung unter Berücksichtigung von Art. 75b BV sowie von ZWG und ZWV zu überprüfen und namentlich zu untersuchen, ob die in der Gemeinde gesamthaft festgesetzten Bauzonen zu reduzieren sind.

Die Eigentümer einer Bauparzelle in Bregaglia (GR) reichten ein Baugesuch für die Überbauung ihres Grundstücks ein, wogegen A. am 17. September 2013 Einsprache erhob. Am 8. April 2014 ersuchte A. die Gemeinde um Überprüfung der kommunalen Grundordnung und insbesondere der bestehenden Bauzonenreserven im Ortsteil Maloja, speziell im Gebiet Capolago: Es sei eine Revision des Zonenplans der Gemeinde einzuleiten, mit dem Ziel, nicht überbaute Grundstücke, die nicht oder ungenügend erschlossen seien, dem Nichtbaugebiet zuzuweisen.

Wie schon im vorinstanzlichen Verfahren, beantragte A. mit Beschwerde vor Bundesgericht, die Gemeinde Bregaglia sei anzuweisen, ihre Nutzungsordnung, namentlich hinsichtlich der festgesetzten Bauzonen zu überprüfen (Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Art. 15 RPG). Eine Anpassung der Nutzungsordnung kann auch in Bezug auf benachbarte Grundstücke verlangt werden, deren Überbauung die Nutzung der eigenen Liegenschaft (rechtlich oder tatsächlich) beeinträchtigen könnte.

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Grundstück der Beschwerdeführerin und innerhalb der Bauzone liegt das noch nicht überbaute Grundstück der weiteren Beteiligten und Baugesuchsteller. Umstritten ist, ob die Erschliessung dieses Grundstück für eine Überbauung ausreicht. Es befindet sich am Rand der Bauzone im Ortsteil Capolago (Motta di Larasc), bildet nicht offensichtlich eine Baulücke und wird von einer Gefahrenzone überlagert. Die Verfahrensbeteiligten machen nicht geltend, das eingereichte Baugesuch sei im Zeitpunkt des vorliegend angefochtenen Urteils bereits bewilligt gewesen. Unter diesen Umständen erscheint eine Rückzonung des Grundstücks nicht von vornherein ausgeschlossen. Darüber hinaus befinden sich im Ortsteil Capolago bzw. im Gebiet Motta di Larasc weitere Grundstücke, die gemäss geltendem Nutzungsplan in der Bauzone liegen und nicht oder nur teilweise überbaut sind. Für einzelne dieser Grundstücke oder Parzellenteile erscheint eine Rückzonung ebenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.

Umstritten ist weiter, ob sich die für die Planung massgebenden Verhältnisse seit Erlass der geltenden Nutzungsordnung erheblich verändert haben. Am 11. März 2012 und damit jedenfalls nach dem Erlass der geltenden Nutzungsordnung der Gemeinde ist Art. 75b BV betreffend Zweitwohnungen in Kraft getreten. Seit dem 1. Januar 2016 sind sodann das Zweitwohnungsgesetz vom 20. März 2015 (ZWG; SR 702) sowie die Zweitwohnungsverordnung vom 4. Dezember 2015 (ZWV; SR 702.1) in Kraft.

Art. 75b Abs. 1 BV sieht einen maximalen Anteil an Zweitwohnungen von 20 % vor. Es wird von der Gemeinde nicht bestritten, dass sie einen erheblichen Anteil an Zweitwohnungen aufweist. Es ist davon auszugehen, dass der maximale Wert von 20 % deutlich überschritten ist. Damit können in der Gemeinde Bregaglia bis zum Absinken des Zweitwohnungsanteils unter 20 % grundsätzlich keine neuen Zweitwohnungen mehr bewilligt werden (Art. 6 ff. ZWG). Dass gleichzeitig der Bedarf an Erstwohnungen deutlich gestiegen wäre oder in den nächsten Jahren steigen könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Insofern ist insgesamt mit einem erheblichen Rückgang der Wohnbaunachfrage zu rechnen, selbst wenn der Umfang des Zweitwohnungsbaus in den vergangenen Jahren im Ort Maloja grösser gewesen sein mag als im übrigen Gemeindegebiet. Dies hat zur Folge, dass die Wohnbaureserven der Gemeinde mit grosser Wahrscheinlichkeit überdimensioniert sind und im Hinblick auf Art. 15 RPG überprüft werden müssen.

Zu prüfen bleibt, ob die Interessen der Rechtssicherheit und des Vertrauens in die Beständigkeit des Zonenplans einer solchen Überprüfung entgegenstehen.

Da davon ausgegangen werden konnte, dass die derzeit in der Gemeinde Bregaglia ausgeschiedenen Bauzonen mehrheitlich mindestens seit dem Jahr 2010 Bestand haben und seither nicht umfassend überprüft worden sind, erscheinen die Interessen der Rechtssicherheit und des Vertrauens in die Beständigkeit des Zonenplans der Gemeinde Bregaglia nicht so gewichtig, dass eine Plananpassung von vornherein ausscheidet. Dass in der ehemaligen Gemeinde Stampa einzelne Flächen - unter anderem der westliche Teil der Bauparzelle – erst mit der im Jahr 2007 beschlossenen bzw. im Jahr 2009 genehmigten Teilrevision definitiv der Bauzone zugeteilt worden sind und dass die entsprechende Zuweisung von der Vorinstanz und vom Bundesgericht erst in den Jahren 2010 bzw. 2011 bestätigt worden ist, ist für die Beantwortung der Frage, ob eine Überprüfung der in der Gemeinde insgesamt festgesetzten Bauzonen der ersten Stufe angezeigt ist, nicht von Bedeutung. Ob anlässlich einer allenfalls in einem zweiten Schritt gebotenen Verkleinerung der Bauzonen für einzelne Parzellen – wie beispielsweise der Bauparzelle – der Grundsatz der Planbeständigkeit wegen der beschriebenen Umstände eine besondere Bedeutung haben könnte, wäre dannzumal zu prüfen, so das Bundesgericht.

Nach dem Ausgeführten hat die Beschwerdeführerin Anspruch darauf, dass die Gemeinde Bregaglia die geltende Nutzungsordnung unter Berücksichtigung von Art. 75b BV sowie von ZWG und ZWV überprüft und namentlich untersucht, ob bzw. inwiefern die in der Gemeinde gesamthaft ausgeschiedenen Bauzonen zu reduzieren sind.