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Stockwerkeigentum |

Bauliche Massnahmen im Stockwerkeigentum

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Durchführung und Kostentragung von baulichen Massnahmen an gemeinschaftlichen Teilen im Stockwerkeigentum

Ein Stockwerkeigentümer ist in der Verwaltung, Benutzung und baulichen Ausgestaltung seiner eigenen Räume weitgehend frei. Nebst den im Sonderrecht des einzelnen Stockwerkeigentümers stehenden Stockwerkeinheiten verfügt eine in Stockwerkeigentum aufgeteilte Liegenschaft allerdings zwingend auch über sogenannte gemeinschaftliche Teile, die einem gemeinsamen Zweck dienen wie beispielsweise die tragenden Mauern, die Fenster, Leitungen, das Treppenhaus oder den Garten. Während ein Stockwerkeigentümer über die bauliche Aus- und Umgestaltung der im Sonderrecht stehenden Räume allein entscheiden kann, bedürfen bauliche Massnahmen an gemeinschaftlichen Teilen einer Beschlussfassung durch die Stockwerkeigentümergemeinschaft (Art. 712g Abs. 1 i.V.m. Art. 647c ff. ZGB). Die daraus entstehenden Kosten tragen die einzelnen Stockwerkeigentümer nach Massgabe ihrer Wertquoten (Art. 712h Abs. 1 ZGB).

Der eigenmächtig handelnde Stockwerkeigentümer

In einem Urteil vom 29. Juni 2021 befasste sich das Bundesgericht mit der Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob ein Stockwerkeigentümer von einem anderen Ersatz gestützt auf Art. 423 Abs. 2 OR verlangen kann, wenn er eigenmächtig (ohne vorgängige Beschlussfassung) bauliche Massnahmen an gemeinschaftlichen Teilen vorgenommen hat (BGer 5A_831/2020). Konkret liess der Stockwerkeigentümer gemeinsame teils 70-jährige Werkleitungen ohne vorgängigen Beschluss der Stockwerkeigentümergemeinschaft erneuern und forderte daraufhin einen anteilsmässigen Ersatz der entstandenen Kosten von den anderen Stockwerkeigentümern aus Geschäftsführung ohne Auftrag.

Keine dringlichen baulichen Massnahmen

Das Bundesgericht hielt in seinem Urteil fest, dass bauliche Massnahmen an gemeinschaftlichen Teilen, wie die zu beurteilende Erneuerung von gemeinsamen Werkleitungen, nur dann ausnahmsweise keinen vorgängigen Beschluss der Stockwerkeigentümergemeinschaft erfordern, wenn sie dringlich sind bzw. keinen Aufschub dulden, da sonst Gefahr im Verzug liegt. So können bauliche Massnahmen an gemeinschaftlichen Teilen, immer dann von einem einzelnen Stockwerkeigentümer auf Kosten der Gemeinschaft in Auftrag gegeben werden, wenn damit die gemeinschaftliche Sache vor drohendem oder wachsendem Schaden bewahrt wird. Massstab für die Dringlichkeit ist, ob ein vernünftiger Mensch unter den konkreten Umständen mit seinem Eingreifen nicht länger zugewartet hätte.

Der Umstand, dass die gemeinsamen Werkleitungen die allgemeine Lebensdauer erreicht hatten und in absehbarer Zukunft ohnehin einmal hätten ersetzt werden müssen, reichte dem Bundesgericht nicht aus, um die Erneuerungsarbeiten als dringlich im Sinne von Art. 647 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB zu qualifizieren. Vielmehr hätten Hinweise vorliegen müssen, dass die Leitungen undicht waren oder unmittelbarer Schaden drohte, wie beispielsweise im Falle einer geborstenen Leitung, deren nicht sofortige Reparatur zu Schaden führen oder einen solchen jedenfalls als drohend erscheinen lassen würde. Der Stockwerkeigentümer hätte folglich keine Erneuerung der Werkleitungen ohne vorgängige Beschlussfassung auf Kosten der Stockwerkeigentümergemeinschaft veranlassen dürfen.

Forderung gestützt auf Art. 423 Abs. 2 OR – Geschäftsführung ohne Auftrag

Grundsätzlich haben die Stockwerkeigentümer die Kosten für Unterhalt, Reparaturen und Erneuerungen der gemeinschaftlichen Teile nach Massgabe ihrer Wertquoten zu tragen. Dies gilt insbesondere auch für die dringlichen baulichen Massnahmen, welche ausnahmsweise ohne vorgängige Beschlussfassung von einem einzelnen Stockwerkeigentümer in Auftrag gegeben werden dürfen. Ob der eigenmächtig handelnden Stockwerkeigentümer einen Teil der Kosten für die selbstständig ausgeführten baulichen Massnahmen auch gestützt auf das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag oder der ungerechtfertigten Bereicherung von der Stockwerkeigentümergemeinschaft herausverlangen kann, liess das Bundesgericht im diskutierten Urteil letztlich offen, zumal im zu beurteilenden Fall fälschlicherweise ein einzelner Stockwerkeigentümer und nicht die Stockwerkeigentümergemeinschaft eingeklagt wurde. Das Bundesgericht bemerkte indessen, dass die Anwendung der betreffenden Rechtsfiguren bei nicht reversiblen baulichen Massnahmen zur Folge hätte, dass ein Stockwerkeigentümer gegen den Willen der anderen seine Pläne umsetzen und sich hierfür bezahlt machen könnte.

Würdigung / Empfehlung

Stockwerkeigentümer müssen sich bewusst sein, dass die Anforderungen an die Dringlichkeit von baulichen Massnahmen, welche eine Veranlassung ohne vorgängige Beschlussfassung der Gemeinschaft erlauben, sehr strikt sind. Nur wenn ein unmittelbarer Schaden bei Unterbleiben der baulichen Massnahmen droht, kann von einer vorgängigen Beschlussfassung abgesehen werden.

Ist nicht offensichtlich, dass ein unmittelbarer Schaden an gemeinschaftlichen Teilen droht, empfiehlt sich eine vorgängige Beschlussfassung der Gemeinschaft über die Durchführung bzw. Beauftragung der baulichen Massnahmen. Andernfalls muss über den Rückbau der getätigten Baumassnahmen entschieden werden, wobei der eigenmächtig handelnden Stockwerkeigentümer auf seinen Kosten sitzen bleibt. Ebenfalls verdeutlicht der Entscheid, dass die rechtlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Stockwerkeigentümern und der Gemeinschaft stets über letztere läuft und ein Stockwerkeigentümer entsprechend nicht ohne weiteres einen Rückgriffsanspruch gegen einen anderen Stockwerkeigentümer direkt geltend machen kann.

Gerne stehen wir Ihnen beratend für sämtliche Anliegen und Fragen rund um das Stockwerkeigentum zur Seite.