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Öffentliches Baurecht | 1C_506/2014 (zur Publ. vorgesehen)

Schallschutzfenster wegen Nationalstrassen-Ausführungsprojekt

Rechtslage Umweltschutz: Hofstetter Advokatur in Luzern berät in Rechtsfragen.

Das Nationalstrassen-Ausführungsprojekt N1 in Zürich ist als wesentliche Änderung im Sinne der Lärmschutzbestimmungen zu qualifizieren. Kriterien für eine wesentliche Änderung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 und 3 LSV sind nebst der vorhersehbaren Erhöhung der Lärmimmissionen auch weitreichende Eingriffe in die Bausubstanz, erhebliche Kosten, eine Kapazitätserweiterung oder der Wiederaufbau einer Anlage. Der Bund muss die Eigentümer von Gebäuden, an denen die Immissionsgrenzwerte voraussichtlich nicht eingehalten werden können, zum Einbau von Schallschutzfenstern verpflichten und die Kosten dafür übernehmen.

Das strittige Ausführungsprojekt des Bundesamts für Strassen (ASTRA) sieht vor, den rund 1,5 km langen Abschnitt der Nationalstrasse N 1 umfassend Instand zu setzen und zugleich lärmrechtlich zu sanieren. Zudem ist ein neues Verkehrs- und Anschlusskonzept vorgesehen, mit dem Ziel, den Verkehr auf der Nationalstrasse zu kanalisieren und die angrenzenden Quartiere vom Verkehr zu entlasten und insgesamt aufzuwerten. Das ASTRA ersuchte beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) um Erteilung der entsprechenden Plangenehmigung.

Streitig ist die lärmrechtliche Beurteilung des Projekts: Während ASTRA und UVEK von einer reinen Lärmsanierung ausgehen (Art. 16 f. und 20 USG), weil die Lärmimmissionen nicht wahrnehmbar zunehmen, qualifizierte das Bundesverwaltungsgericht das Ausführungsprojekt auf Beschwerde der Stadt Zürich hin aufgrund der starken Veränderung der bestehenden Bausubstanz und der erheblichen Kosten als „wesentliche Änderung“, weshalb eine verschärfte Sanierungspflicht gemäss Art. 18 USG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV) bestehe.

Bestehende Anlagen, die den gesetzlichen Vorgaben nicht entsprechen, müssen saniert werden (Art. 16 USG), und zwar so weit, als dies technisch und betrieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar ist und die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden (Art. 13 Abs. 2 LSV). Die Sanierungspflicht wird in der LSV konkretisiert (Art. 16 Abs. 2 USG), die insbesondere Sanierungsfristen festlegt (Art. 17 LSV). Sanierungen und Schallschutzmassnahmen müssen spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung durchgeführt sein (d.h. am 1. Januar 2000); für Nationalstrassen wurden die Fristen bis zum 31. März 2015 verlängert (Art. 17 Abs. 3 LSV). Das Lärmschutzrecht sieht besondere Bestimmungen für geänderte Altanlagen vor (Art. 18 USG; Art. 8 LSV). Unwesentliche Änderungen oder Erweiterungen lösen keine Sanierungspflicht für die bestehenden Anlageteile aus. Lediglich für die neuen oder geänderten Anlageteile müssen die Lärmemissionen insoweit begrenzt werden, als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist.

Die Lärmimmissionen wesentlich geänderter oder erweiterter Anlagen müssen dagegen die Immissionsgrenzwerte einhalten. Bei einer vollständigen Zweckänderung oder so drastischen Veränderung, dass der weiterbestehende Teil der Anlage von geringerer Bedeutung ist als der erneuerte, findet eine Gleichstellung mit Neubauten statt, d.h. die Planungswerte gelten. Vorliegend bleiben Funktion und Trassee unverändert, weshalb keine neue Anlage vorliegt.

Die Abgrenzung von wesentlichen und unwesentlichen Änderungen dient in erster Linie der Klärung, ob eine Sanierungspflicht für die bestehenden Anlagenteile besteht, wenn eine Altanlage vor Ablauf der Sanierungsfrist umgebaut oder erweitert wird. Art. 8 Abs. 3 lit. a LSV stellt darauf ab, ob die Änderung oder Erweiterung ohne Sanierung zu einer wahrnehmbaren Zunahme der Lärmimmissionen führen würde. Ist dies der Fall, löst der Umbau eine Sanierungspflicht aus. Wird aber eine Anlage wie im vorliegenden Fall gleichzeitig geändert und saniert, versagt dieser Ansatz, da die Lärmemissionen durch die Sanierung gleichzeitig reduziert werden.

Würden grosse bauliche Veränderungen der bestehenden Anlage nicht als wesentliche Änderung qualifiziert, könnte eine sanierungspflichtige Anlage vor Ablauf der Sanierungsfrist umfassend erneuert werden, ohne dass gleichzeitig die eigentlich notwendige Lärmsanierung durchgeführt werden müsste. Auch im Lichte des öffentlichen Interesses am Weiterbetrieb von gesamtwirtschaftlich bedeutsamen Anlagen und an der Finanzierbarkeit der hohen Sanierungskosten für das Gemeinwesen rechtfertigt sich die Sanierung bei gesamthaften Erneuerungen und Umgestaltungen einer bestehenden Anlage: Wird bereits mit hohen Kosten in die Bausubstanz eingegriffen und damit die Funktionsfähigkeit der Anlage durch Baustellen über längere Zeit beeinträchtigt, müssen gleichzeitig die notwendigen Sanierungsmassnahmen vorgenommen werden, wodurch die Sanierungskosten deutlich tiefer gehalten werden können.

Kriterien für eine wesentliche Änderung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 und 3 LSV sind somit nebst der vorhersehbaren Erhöhung der Lärmimmissionen auch weitreichende Eingriffe in die Bausubstanz, erhebliche Kosten, eine Kapazitätserweiterung oder ein Wiederaufbau einer Anlage.

Vorliegend beschränkt sich das Ausführungsprojekt nicht auf reine Unterhaltsarbeiten, sondern es wird praktisch die gesamte oberirdische Bausubstanz ersetzt. Sowohl von den baulichen Massnahmen als auch von den Kosten her kommt das Projekt einem Neu- bzw. Wiederaufbau (i.S.v. Art. 8 Abs. 3 Satz 2 USG) nahe, so dass die Änderung als wesentlich einzustufen ist, auch wenn die Anlage gleichzeitig saniert wird und damit die Lärmemissionen reduziert werden. Eine wesentliche Änderung ist auch anzunehmen, da das Projekt die Lebensdauer der Gesamtanlage erheblich verlängert (vorliegend: Lebensdauer bis mind. 2063). Der Anwendungsbereich von Art. 20 USG, wonach passive Schallschutzmassnahmen erst ab Erreichen des Alarmwerts anzuordnen und vom Inhaber der lärmigen Anlagen zu finanzieren sind, beschränkt sich auf bestehende, nicht wesentlich geänderte Altanlagen, d.h. auf Anlagen, deren Bausubstanz im Wesentlichen noch aus der Zeit vor Inkrafttreten des USG stammt und deren Lebensdauer daher beschränkt ist. Es würde dem verfassungsrechtlichen Auftrag, Menschen vor schädlichen und lästigen Einwirkungen zu schützen (Art. 74 BV) widersprechen, wenn bestehende Anlagen vollständig erneuert und ihre Lebensdauer damit um Jahrzehnte verlängert werden könnte, ohne dass die Anwohner wenigstens durch Schallschutzfenster vor übermässigen Immissionen geschützt würden.

Die Qualifikation als wesentliche Änderung hat somit zur Folge, dass der Bund (als Eigentümer der Nationalstrasse) den Einbau von Lärmschutzfenstern an allen Bauten in der Umgebung anordnen und finanzieren muss, in denen die Immissionsgrenzwerte für Strassenlärm nicht eingehalten werden können (Art. 10 und 11 LSV).

Die in Art. 11 Abs. 2 USG verlangte Prüfung vorsorglicher emissionsbegrenzender Massnahmen gilt gemäss Bundesgericht auch für projektbedingte Verkehrsimmissionen auf Zufahrtsstrassen. Selbst wenn ein Projekt zu einer Erhöhung der Immissionen im nicht wahrnehmbaren Bereich führt, muss daher geprüft werden, ob vorsorgliche emissionsbegrenzende Massnahmen technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich zumutbar sowie verhältnismässig sind. Allerdings darf berücksichtigt werden, dass die Zufahrt über den Abschnitt Juchhof in absehbarer Zeit Bestandteil eines anderen Sanierungsprojekts bilden soll. Dementsprechend wies die Vorinstanz die Sache zu Recht nur zur Prüfung von (vorübergehenden) Emissionsbegrenzungen und nicht zur Änderung des Ausführungsprojekts zurück.